AKF-Projekt: Interviews mit Klinikärztinnen und -ärzten zum Kaiserschnitt: Interview mit Dr. Andreas Worms

AKF-Projekt: Interviews mit Klinikärztinnen und -ärzten zum Kaiserschnitt: Interview mit Dr. Andreas Worms

Interview mit Dr. Andreas Worms
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Kassel
Leiter der Abteilung Geburtshilfe
andreas.worms@klinikum-kassel.de

→ 2.300 Geburten pro Jahr, Senkung der Kaiserschnittrate um 15 Prozent von 42 bis 45 Prozent (2013) auf 27 Prozent (2017)

 

Herr Dr. Worms, Sie haben in den Jahren zwischen 2013 und 2017 die Kaiserschnittrate an Ihrer Klinik von über 40 Prozent auf aktuell rund 27 Prozent gesenkt. Was gab den Ausschlag dafür?

Als ich die Klinik Anfang 2013 übernommen habe, gab es wegen der hohen Kaiserschnittrate unter den Hebammen eine große Unzufriedenheit. Da damals fast die Hälfte der Kinder im OP geholt wurde, haben wir uns zusammengesetzt und logistische Gespräche darüber geführt, was verändert werden kann und muss.

Beim Einstellungsgespräch hat mir allerdings der Vorstandsvorsitzende bedeutet, dass nur die Risikogeburtshilfe Geld bringe. Es hat rund drei Jahre gebraucht, um die Verwaltung davon zu überzeugen, dass man auch mit der Normalgeburt für die Klinik Gewinne machen kann. Der Kaiserschnitt ist ökonomisch gesehen nicht per se lukrativer. Das ist Augenwischerei. Denn ich muss viel Geld beim Kaiserschnitt abführen (an OP-Personal, Anästhesie, etc.). Wenn ich weniger Kaiserschnitte mache, sind z.B. die Betten nur zwei bis drei Tage und nicht wie beim Kaiserschnitt mindestens vier Tage belegt. Wenn die Betten schneller frei sind, können sie schneller wieder belegt werden. Die 32 Betten auf unserer Geburtsstation mussten früher für 1500 Geburten reichen, jetzt reichen sie für 2300 Geburten. Durch unsere erfolgreiche Strategie der Geburtshilfe stehen wir nun besser da und haben mehr Zulauf. Damit werden die etwas geringeren Einnahmen kompensiert. Dem etwas höheren Gewinn bei einem Kaiserschnitt steht der größere Aufwand gegenüber, z.B. mehr Laborleistungen und mehr Personalaufwand, der ja bezahlt werden muss, das darf man nicht vergessen.

Unterm Strich erzielen wir zwei Millionen Gewinn im Jahr mit der Geburtshilfe. Das ist auch für den Geschäftsführer okay.

Welche Änderungen haben Sie konkret vorgenommen?

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren alle sehr motiviert, die Geburtshilfe zu verändern und gemeinsam neue Standards, angelehnt an die Leitlinien, zu erarbeiten. Wir haben regelmäßige Gespräche geführt und sind unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass wir weniger Gerätemedizin und mehr sprechende Medizin brauchen und wollen. Wir haben die Geburtsplanung aus dem Kreißsaal rausgezogen und Fachpersonal abgestellt, das drei Stunden am Tag Zeit hat, außerhalb des Kerngeschäftes mit den Schwangeren eine halbe bis dreiviertel Stunde die Geburt individuell zu planen. Je eher wir die Frauen sehen und sprechen, desto besser. Wenn die Frau  – manchmal auch durch den niedergelassenen Arzt – schon voreingestellt auf eine primäre Sectio kommt, ist es schwer, sie umzustimmen. Dieser Voreinstellung kann man zuvorkommen. Aus diesem Grund nehmen wir regelmäßig an den Qualitätszirkeln der niedergelassenen Frauenärzte und -ärztinnen teil. Durch die enge Zusammenarbeit hat sich ein Umdenken ergeben. Wir diskutieren über den Sinn oder Unsinn mancher Vorgehensweisen, z.B. der Geburtseinleitung nach einem rigiden Schema. Manches sahen die Niedergelassenen aufgrund althergebrachter Vorgehensweisen anders, aber durch eine gemeinsame Diskussion kommt es mittlerweile zu einem einheitlicheren Vorgehen. Seit ein paar Jahren läuft das hier ganz gut.

Aber man braucht auf alle Fälle jemanden, der sich um all das ausschließlich kümmert. Das sind bei uns meine ausschließlich geburtshilfliche Oberärztin und ich. Und wir haben eine Oberarztpräsenz. Das heißt, wir sorgen dafür, dass die Qualität der Geburtshilfe, wenn möglich, immer eingehalten wird. Wir bilden auf diese Weise auch die neuen Ärztinnen und Ärzte aus und erweitern ihr geburtshilfliches Spektrum. Sie lernen z.B. wieder, Beckenendlagen vaginal zu entbinden oder dass nicht bei jeder Frühgeburt ein Kaiserschnitt nötig ist. Sie lernen auch, dass für eine gute Geburtshilfe eine individuelle, auf die jeweilige Frau bezogene und mit ihr gemeinsam getroffene Entscheidung wichtig ist. Dabei haben sie Rückendeckung durch mich und mein breites Kreuz. Die Schwangere bzw. die Eltern haben das sichere Gefühl, dass alle wichtigen Befunde sorgfältig beachtet wurden, und sie wissen, wer sich um sie kümmert.

Diese Art des Arbeitens kostet Zeit und auch Nerven, lohnt sich aber. Ob jemand krank oder im Urlaub ist  – die Geburtshilfe kann mit gleicher Qualität weitergehen.

Welche Maßnahmen haben Sie noch ergriffen?

Wir sorgen für eine gute Ausbildung und haben dadurch ein gutes Team. Die Geburtshilfe ist auf mehrere Schultern verteilt. Das Team lernt, sich etwas zuzutrauen und keine Angst, aber Respekt vor der Geburt zu haben. Viele Ärzte und Ärztinnen haben Angst, weil sie die vaginale Geburtshilfe nicht mehr können, und greifen deshalb schnell zum Skalpell. Sie haben natürlich auch Angst wegen der Versicherungslage, vor Schadensersatzprozessen. Die Schadenssummen gehen heute in die Millionen. Das wollen sie sich verständlicherweise ersparen.

Wie ist es mit der Angst, die die Schwangeren und ihr Umfeld haben? Sind sie offen dafür, sich die Ängste nehmen zu lassen?

Viele Frauen kommen stark verunsichert oder verängstigt durch Medien, Freundinnen etc., die die Ängste gern hochstilisieren. Im Gespräch kann man ihnen oft die Unsicherheit nehmen. Angst vor Schmerzen lassen sich einerseits durch fundiertes Wissen und andererseits durch Einfühlungsvermögen in die Frau und ihre Situation oft nehmen. Man muss ihre Ängste ernst nehmen. Manche brauchen Zeit und ein zweites Gespräch. Das kostet natürlich Zeit, aber Vertrauen baut sich nicht im Handumdrehen auf.

Welche Gründe für eine Sectio sind weggefallen?

Es gibt z.B. weniger Kaiserschnitte bei einer Beckenendlage. Nicht mehr eine 100-Prozent-Rate wie früher. Bei uns gilt auch nicht: einmal Sectio, immer Sectio. Die Resectio-Rate liegt bei uns bei 53 Prozent. Der hessische Durchschnitt liegt bei 72 Prozent. Auch Diabetes, ein höheres Alter oder Übergewicht führen nicht automatisch zu einem Kaiserschnitt. Bei übergewichtigen Patientinnen sollte man sowieso besser nicht sectionieren, sondern bestrebt sein, einen Kaiserschnitt zu vermeiden.

Ist durch die gesunkene Sectio-Rate die Zahl der vaginaloperativen Geburten gestiegen?

Wir haben 15 Prozent weniger Sectiones bei einer gleichen Anzahl von vaginaloperativen Geburten. Sie liegen wie vorher bei 7 bis 8 Prozent. Die Reduzierung der Sectio-Rate geht zugunsten der Spontangeburt.

Was Sie sagen, leuchtet ein. Warum verbreitet sich Ihre Haltung nicht stärker?

Vielleicht weil immer seltener engagierte Leute die Geburtshilfe betreiben. Die Geburtshilfe und besonders die Vaginalgeburten sind über Jahre vernachlässigt und nicht mehr wirklich praktiziert worden. Ich habe meine Ausbildung in Erfurt noch zu DDR-Zeiten gemacht. Damals gab es weniger Kaiserschnitte und mehr Vaginalgeburten. Schlussendlich muss man Geburtshilfe leben und lieben, sich komplett einbringen. Ohne Herzblut geht das nicht. Geburtshilfe nebenbei funktioniert nicht. Man kann zum Beispiel nicht hauptsächlich Onkologie betreiben und nebenbei noch Geburtshilfe machen. Wenn man ausschließlich das macht, was man kann, dann läuft das auch.

Was wäre Ihre Botschaft an Ihre Fachkolleginnen und -kollegen?

Vielleicht mehr auf die Hebammen zu hören und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie haben eine etwas andere Denkweise, die manchen Ärztinnen und Ärzten verquer vorkommt, liegen aber oft richtig.

Das Interview wurde geführt von Petra Otto.

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