Brustkrebsmonat: Weg mit der rosa Augenbinde!

The Big See! – Abbildung UNISON und Women Environmental Network (WEN) 2005 – Copyright Mark Chilvers, Großbritannien, mit freundlicher Genehmigung
„Krebs ist Scheiße“ (CANCER SUCKS) steht auf einem bekannten Button von Breast Cancer Action. Das ist zumindest aus der Perspektive von Betroffenen treffend formuliert, auch wenn das Bild der Krankheit Brustkrebs besonders in Deutschland in der Öffentlichkeit heute rosa verpackt und von Fortschritt geprägt zu sein scheint. Ob Staubsauger, Lockenstab, Modeschmuck, Nagellack oder Bekleidung: mehr und mehr Firmen, aber auch „Selbsthilfe“ und „Charities“ benutzen die Krankheit, diverse Produkte geschäftstüchtig im Schlepptau ihres „Engagements“. Brustkrebs erweckt Aufmerksamkeit im Marketing, um sich selbst ins Gespräch zu bringen und vorgeblich humanistische Ansätze zu demonstrieren.
Doch „Bewusstsein für Brustkrebs“ gibt es inzwischen im Überfluss. Die an Bord solcher Kampagnen mitgeführten Botschaften sind häufig irreführend oder unzulässige Vereinfachungen, die mehr schaden als nützen. Die versprochenen Spenden sind selten transparent und erreichen betroffene Frauen oder medizinische Behandlungszentren höchstens im Ausnahmefall in nennenswertem Umfang.
An vorhandenen Defiziten verändern „Brustkrebsmonat“ und Marketingkampagnen dagegen nichts. Krankheitsursachen werden weiterhin nicht hinreichend erforscht. Frauen sind angewiesen auf unzureichende Werkzeuge in Diagnostik und Therapie. Die Anzahl der Neuerkrankungen steigt kontinuierlich. Die Sterblichkeit an Brustkrebs sinkt nicht nennenswert, was anhand der GEKID-Zahlen für Deutschland leicht überprüfbar ist. Ob das weltweit größte Mammographie-Screening-Programm „nach europäischen Leitlinien“ in Deutschland daran etwas ändern wird, erscheint vielen MedizinerInnen heute fraglich. KritikerInnen aus den Reihen medizinischer Forschungseinrichtungen und Frauenorganisationen weltweit bezweifeln die Erfolgsaussichten und attestieren zusätzliche Risiken für Frauen. Die bereitgestellten Informationsmaterialien zu Diagnostik, Behandlung und Therapie kommunizieren insbesondere Risiken nicht hinreichend.
Brustkrebs ist nach wie vor, und allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz, bei vielen Frauen nicht heilbar. Wer sich mit einzelnen Krankheitswegen betoffener Frauen befasst, wird nach wie vor mit Odyseen unvorstellbaren Leids konfrontiert. Die Antwort auf soziale Probleme jüngerer Frauen mit Brustkrebs heißt in Deutschland Hartz IV, gesellschaftlicher Abstieg, Armut. Brustkrebs als soziales Problem wird nicht diskutiert. Leid, Schmerz, Krankheit und Tod betreffen reale Frauen, während das Bild der Krankheit in der Öffentlichkeit umgedeutet wird.
Der sogenannte „Brustkrebsmonat“ Oktober hat sich zum Paradebeispiel einer weltweiten Manipulationsindustrie gemausert. Besonders im Oktober wabert eine rosa Lawine um den Erdball, die Frauen infantilisiert, instrumentalisiert und zugleich den Blick auf das, was an abgesichertem wissenschaftlichen Wissen wirklich existiert, wirksam verstellt. Die mehr oder minder kitschigen Aktivitäten mit „rosa Schleife“ sollen für Aufmerksamkeit sorgen und sind dabei zugleich zum Symbol einer industriell umfunktionierten Basisbewegung geworden. Selbst konservativere Frauenorganisationen wie der große amerikanische Zusammenschluss der National Breast Cancer Coalition wenden sich bereits seit Jahren gegen solche Aktivitäten. In Großbritannien rufen Frauenorganisationen an Universitäten wie Parlamenten[1] gleichermaßen dazu auf, die allgegenwärtige „rosa Schleife“, die als Augenbinde verstanden wird, endlich abzunehmen.
Die Medizinsoziologin Gayle Sulik hat in ihrem Buch „Pink Ribbon Blues“ die Gleichung „Frau = Brust = Rosa“ durch alle Untiefen dekliniert. Ihr wichtiges, bei Oxford University Press erschienenes Buch zu Geschichte und Gegenwart der Brustkrebsbewegung findet in Deutschland bisher keinen Verleger. Dabei wäre es wichtig, ihre Arbeiten auch in deutscher Sprache zugänglich zu machen. Sulik spricht von „Brustkrebsindustrie“. Sie schreibt, dass es kein Zufall sei, wenn mit dem Brustkrebsmonat der amerikanischen Krebsgesellschaft (American Cancer Society) die Mammographie propagiert wird, da sie von der Niederlassung eines der größten multinationalen Chemiekonzerne gesponsert worden sei. Die Zeneca-Gruppe von der Imperial Chemical Industry, die später mit Astra fusionierte, sei durch Entwicklung, Herstellung und Verkauf onkologischer Medikamente zu einem der reichsten Mitglieder dieser Brustkrebsindustrie geworden.[2] Mit der Etablierung des Mammographie-Screenings ist es in den letzten Jahren auch hier zu einem nicht unerheblichen Anstieg der Neuerkrankungen gekommen. Auch hiesige Frauenorganisationen, Selbsthilfegruppen einschließlich der Brustkrebsdemonstrationen wurden von Pharmakonzernen und Medizingeräteherstellern gesponsert. Die Auswirkungen des Screenings in der Tragweite für Frauen sind bisher allerdings noch nicht sicher abschätzbar.
Den geschlossenen Kreislauf durchbrechen
Während die Ursachen von Krebserkrankungen und Brustkrebs ausgeblendet bleiben, während Regierungen sich weigern, Maßnahmen zu ergreifen, um Ursachen adäquat zu erforschen und für sicherere Lebensbedingungen von Frauen zu sorgen, während immer mehr Medizintechnik und überteuerte Therapien und Tests zum Einsatz kommen und damit die Finanzierbarkeit eines Gesundheitssystems schlichtweg für alle gefährden, fordern die kritischen Frauen- und Bürgerrechtsorganisationen zumindest endlich strengere Kontrollen für krebserregende Chemikalien.
Hersteller von gesundheitsgefährdenden Chemikalien sind nicht eben selten dieselben Konzerne, die auch die Medikamente herstellen und mit ihren verschachtelten Konzernen medizinische Einrichtungen wie Brustzentren betreiben. Forschungen multinationaler Konzerne werden auch in hiesigen Behandlungseinrichtungen an Brustkrebspatientinnen durchgeführt. Bei weitem nicht jede medizinische Studie, nicht jedes Experiment ist dabei transparent oder hilfreich oder auch nur mit einer Aussicht auf Behandlungserfolg verknüpft, während überzogene Preise für neue onkologische Medikamente und Testverfahren die eigentlichen Antriebsräder im Geschehen sind.
Zugleich werden Frauen über Produkte des täglichen Lebens von Kinderspielzeug über Kosmetika, Haushaltsreiniger, Kunststoffe, Einrichtungsgegenstände etc. mit krank machenden Chemikalien kontaminiert. Die große Schieflage beim Einfluss von „modernen“ Lebens- und Ernährungsgewohnheiten und der Entstehung von Krebserkrankungen zu beleuchten, sprengt hier den Rahmen. Viele dieser Chemikalien, die wir auch in Lebensmitteln wiederfinden, sind bekannte Karzinogene oder als suspekt für eine mögliche Krebs verursachende Wirkung eingestuft. Mehr als 300 dieser synthetischen, also künstlichen Chemikalien werden beispielsweise in der Muttermilch nachgewiesen.[3] Wer ist bereit, die tiefgehende Tragik, die dies bedeutet, weiterzudenken und nach Auswegen zu suchen? Medikalisierung von Frauen über erfundene Krankheiten (Beispiel Hormonersatztherapie und „Hormonmangelsyndrom“) haben Gesundheit und Leben von Frauen rücksichtslos gefährdet, und fragwürdige Versprechungen wie „Anti-Aging“ mit „Hormonersatztherapien“ führen fundamentale medizinische Grundsätze seit Jahrzehnten ad absurdum.
Mit ihrer Aktion „The Big See“ (s. Foto oben) haben die britischen Organisationen Women Environmental Network (WEN) und die Gewerkschaft UNISON im Jahr 2005 damit begonnen, auf den Verschleiß der rosa Schleife hinzuweisen. Sie fordern seitdem offensiv dazu auf, die „rosa Augenbinde“ abzunehmen und die Ursachen von Brustkrebs in einem umfassenderen Kontext zu betrachten: „Nimm die rosa Augenbinde ab. Wenn du die Augen öffnest, bist du nicht mehr blind für die Zusammenhänge zwischen Chemikalien, die mit der Entstehung von Krebs in Verbindung gebracht werden, und für steigende Brustkrebsraten sorgen. Werde aktiv!“ Helen Lynn, Herausgeberin der Broschüre zu Brustkrebs und Umweltbelastungen, die mittlerweile in fünf Sprachen einschließlich einer deutschsprachigen Version (Brustkrebs und Umweltbelastung, pdf) vorliegt, stellt fest, dass Frauen verblendet werden, weil Brustkrebs immer noch als praktisch unvermeidliches Schicksal dargestellt werde. Sharon Greene von der britischen Gewerkschaft UNISON mit über 1,1 Millionen Frauen unter ihren Mitgliedern forderte bereits 2005 außerdem, dass Entscheidungsträger und Politik endlich mehr tun, um die Ursachen für mehr und mehr Brustkrebserkrankungen abzustellen.
Selbstschutz: Was Frauen selbst tun können
- Sich nur aus unabhängigen, ungesponserten Quellen informieren.
- Den Gebrauch von Kosmetika bis Putzmittel überdenken und “grüner” einkaufen. Mehr Infos dazu bieten bisher vor allem die Skin Deep Cosmetics Database oder das FemmeToxic-Projekt von Breast Cancer Action Montreal; entsprechende unabhängige Projekte und Datenbanken in deutscher Sprache fehlen bisher.
- Beipackzettel, Inhaltsstoffe, Materialangaben genau kontrollieren. Umtauschen, wenn Produkte besorgniserregende Inhaltsstoffe enthalten. So kann man im Einzelhandel für Sensibilisierung sorgen und auch Händler informieren. Zukünftig solche Produkte beim Einkauf konsequent vermeiden.
- Die kritischen Frauengesundheitsorganisationen wie z.B. den Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. unterstützen (www.akf-info.de), damit Frauengesundheit mehr Priorität erhält.
- Über PolitikerInnen und Behörden weiter Druck für gesunde Lebenswelten aufbauen. Es ist unser Leben!
Credits / Thank you to WEN and UNISON for permission to use their photograph!
Download
Brustkrebsmonat: Weg mit der rosa Augenbinde! (pdf zum Verteilen)
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[1] z.B. Aktion WEN Women Environmental Networt und UNISON, der größten britischen Gewerkschaft mit über 1,1 Mio weiblichen Mitgliedern v. 03.10.2005 am College Green gegenüber den Houses of Parliament, wo Frauen mit rosa Schleife-Augenbinden diese symbolisch abnehmen, um zu zeigen, dass ihre Augen nicht verbunden sind angesichts der Arbeit der britischen Regierung und einem “Krebs-Establishment”, das die Zusammenhänge zwischen Umweltbelastungen und Krebs unter den Teppich kehrt. Die beiden Organisationen machten gemeinsam aufmerksam auf die Gefahren, die von gesundheitsschädigenden Chemikalien ausgehen, und forderten eine strengere Regulierung.