Der § 219a ist endlich gestrichen, nun zur Abschaffung des § 218

Der § 219a ist endlich gestrichen, nun zur Abschaffung des § 218

Stellungnahme des Arbeitskreises Frauengesundheit und Rückblick auf § 219a

Der Arbeitskreis Frauengesundheit e.V. begrüßt ausdrücklich die Abschaffung des § 219a. Nun ist zumindest die dringend benötigte Information ungewollt schwangerer Frauen möglich. Ärzt*innen, die auf ihren Webseiten sachlich informieren und Schwangerschaftsabbrüche durchführen, werden nicht mehr kriminalisiert.

Trotz der Streichung des § 219a bleiben die meisten Probleme bestehen: die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die in vielen Regionen Deutschlands mangelhafte Versorgungslage, die unzureichende Kostenübernahme für den Eingriff, die Stigmatisierung und die abnehmende Zahl an Ärzt*innen, die bereit sind, Abtreibungen durchzuführen sowie die Rechtspflicht zum Austragen eines Kindes.¹

Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper und ihr Leben ist juristisch verbrieft und ein Menschenrecht. Die Umsetzung dieses Rechts ist ein Gradmesser für die Geschlechtergerechtigkeit und für die demokratische Verfasstheit der deutschen Gesellschaft. Da liegt noch eine weite Wegstrecke vor uns.

Der AKF e.V. wird sich weiterhin, zusammen mit vielen anderen, dafür einsetzen, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren und damit die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und schwangeren Menschen umzusetzen.

Rückblick auf den § 219a, Anklagen, Mobilisierung und Proteste gegen den Paragraphen

Über fünf Jahre sind vergangen, seit sich die Allgemeinärztin Kristina Hänel im November 2017 vor dem Gießener Amtsgericht wegen Verstoß gegen den Paragraphen 219a verantworten musste. Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, war verboten, öffentlich darüber zu informieren. 2007 und 2015 war die Frauenärztin Eva Waldschütz angezeigt und vom Wuppertaler Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Im Mai 1933 führten die Nationalsozialisten mit dem Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften die §§ 219 und § 220, die 1926 in einer Novellierung gestrichen worden waren, zum bereits bestehenden § 218 wieder ein.² Diese Paragraphen verboten das Anbieten von Abtreibungsmitteln, -methoden und -diensten. Damit setzten sie ihre pronatalistischen Ziele, nur für als arisch definierte Frauen, um.

1975 und 1993 hatte das Bundesverfassungsgericht die vom Deutschen Bundestag beschlossene Fristenlösung gekippt. Seine Entscheidung war von traditionellen christlich-religiösen Vorstellungen geprägt. Damit bestand auch der § 219a fort. Er sollte das sogenannte Lebensschutzkonzept gewährleisten. Dieser sogenannte Lebensschutz bezieht sich ausschließlich auf den Embryo und Fötus, nicht auf die Rechte der Frau.

Auf der Homepage ihrer Praxis hatte Kristina Hänel veröffentlicht, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt und dazugehörige wichtige Informationen zur Verfügung gestellt. Gegen ihre Verurteilung reichte Kristina Hänel in mehreren Instanzen Berufung ein. Mittlerweile liegt dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde vor.

Schnell formierte sich ein breiter öffentlicher Widerstand. Immer mehr Menschen schlossen sich den Medical Students for Choice, dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und weiteren Pro-Choice-Initiativen an.  Auch der AKF e.V. veröffentlichte bereits Anfang November 2017 eine erste Stellungnahme mit der Forderung, den § 219a zu streichen und arbeitete mit vielen Organisationen zusammen, um den § 219a abzuschaffen. Innerhalb von kurzer Zeit wurden über change.org 150 000 Unterschriften für die Streichung des Paragraphen 219a gesammelt. Am 12.12.2017 wurden sie einigen Bundestagsabgeordneten in Berlin vor dem Parlament übergeben.

Im Oktober 2018 nannte der Richter des Gießener Landgerichts, Johannes Nink, den § 219a einen fürchterlichen Kompromiss. Kristina Hänel ermutigte er mit den Worten: „Tragen Sie das Urteil wie einen Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz.Die Zuständigkeit für das Urteil verwies er an die Politik.

Die große Koalition aus SPD und CDU verabschiedete im März 2019 eine Änderung des § 219a. Es wurde Ärzt*innen damit erlaubt, öffentlich bekanntzugeben, dass sie Abtreibungen durchführen, aber nicht, mit welchen Methoden und bis zu welcher Schwangerschaftswoche. Sie konnten sich nun auf eine Liste der Bundesärztekammer eintragen lassen. Zusätzliche medizinisch sachliche Informationen zu veröffentlichen, blieb Ärzt*innen weiterhin verboten. Bisher liessen sich nur 373  Ärzt*innen der knapp über 1000 Meldestellen, die Abtreibungen durchführen, in die Liste eintragen. (Stand 7/2022).

Im Juni 2019 wurde die Frauenärztin Bettina Gaber in Berlin, im Mai 2021 der Frauenarzt Detlef Merchel in Coesfeld wegen Verstoß gegen § 219a verurteilt. Die Frauenärztinnen Nora Szasz und Natascha Niklaus wurden im Juli 2019 in Kassel dagegen von der Anklage freigesprochen. Die unterschiedlichen Urteile zeigten, dass Ärzt*innen mit der Änderung des § 219a weiterhin keine Rechtssicherheit hatten.

Im November 2019 fand die Gründungsveranstaltung von Doctors for Choice Germany statt, im Dezember 2019 wurde Pro Choice Deutschland gegründet, um nur einige der vielen Initiativen zu nennen. Auch den jährlichen internationalen Safe Abortion Day am 28. September unterstützen immer mehr Frauen, Männer, Transpersonen sowie viele NGOs.

Schon seit 1979 besteht die Konvention der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW). Sie bindet die Staaten daran, alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Bereich des Gesundheitswesens zu ergreifen. Das bedeutet auch, den Zugang zu Information zum Schwangerschaftsabbruch zu gewährleisten. Deutschland hatte sie bereits 1985 unterzeichnet, aber nur in Teilen umgesetzt.

Auch das Europäische Parlament formulierte 2021 im sogenannten Matic Report sexuelle und reproduktive Gesundheit und die Rechte der Frau. Diese Rechte machen eine Streichung des § 219a und des § 218 notwendig. Sie fordern sicheren Zugang und Entkriminalisierung der Abtreibung.

All diese Entwicklungen führten dazu, dass der Bundestag am 24.6.2022 die Streichung des §219a beschloss. Am 8.7.2022 stimmte der Bundesrat der Gesetzesänderung zu. Damit ist das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Der § 218 besteht noch.

Sylvia Groth und Eva Waldschütz

1. 7. Leitsatz im Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 2. Senat vom 28.05.1993 – 2 BvF 2/90 –2 BvF 4/922 BvF 5/92: Grundrechte der Frau tragen nicht so weit, daß die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes – auch nur für eine bestimmte Zeit – generell aufgehoben wäre. DFR – BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II (unibe.ch)
2. Dirk van Behren: Die Geschichte des §218 StGB, 2020 Psychosozial-Verlag, S. 301

 

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