Fachtag: Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Schwangerschaft – Wie sieht eine evidenzbasierte, frauengerechte Schwangerenvorsorge aus? – 21.Okt. 2023
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Fachtag: Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Schwangerschaft – Wie sieht eine evidenzbasierte, frauengerechte Schwangerenvorsorge aus? – 21.Okt. 2023
Die Tagung fand als Hybridveranstaltung am 21.10.2023 in der Universität Münster und als Stream statt.
Schwangerschaft und Geburt gehören zum häufigsten Behandlungsanlass im deutschen Gesundheitswesen. Obwohl die meisten Frauen gesund sind und eine normale Schwangerschaft erleben, herrscht in Deutschland eine auf mögliche Risiken und Komplikationen fokussierte Schwangerenbetreuung vor: Dadurch werden nicht selten bei den Schwangeren (unnötige) Ängste ausgelöst. Dabei ist die Evidenzlage zur Erhebung vieler Risiken und auch zu vielen der anderen empfohlenen Vorsorgemaßnahmen dünn. Hinzu kommt, dass bei Schwangeren überdurchschnittlich viele individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) durchgeführt werden, deren Nutzen nicht erwiesen ist. Die Versorgung in der Schwangerschaft ist wenig transparent und es fehlen vielfach evidenzbasierte Informationen für die Betroffenen als Grundlage für eine partizipative Entscheidungsfindung.
Problematisch ist auch, dass die Mutterschafts-Richtlinien aufgrund gesetzlicher Vorgaben rein ärztliche Richtlinien sind und somit nur regeln, was Ärzt*innen tun sollen. Die Bedürfnisse der Frauen geraten damit aus dem Fokus und die Zusammenarbeit der Berufsgruppen wird nicht gefördert. Die Schwangeren zu stärken, die Versorgung von den Fähigkeiten und Ressourcen der Frau aus zu denken und die Zusammenarbeit aller beteiligten Berufsgruppen zu stärken, sind aber zentrale Ziele des Nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt“, dessen Umsetzung erklärter politischer Wille ist (Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung).
Obwohl gemäß Richtlinien so viele Risiken beachtet und Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden sollen, ist Deutschland bezüglich der Outcomes im Vergleich mit anderen westlichen Industrienationen allenfalls im Mittelfeld und es bestehen deutliche Versorgungsmängel. Diese betreffen z.B. den Umgang mit Traumata und Gewalterfahrungen und deren Auswirkungen in der hoch vulnerablen Phase von Schwangerschaft und Geburt, aber auch den Zugang zur Hebammenversorgung, der vor allem für sozioökonomisch benachteiligte Frauen nachweislich deutlich schlechter ist. So haben über 30 Prozent der Frauen mit niedrigem Einkommen keinen Hebammenkontakt in der Schwangerschaft und im Wochenbett.
Anknüpfend an vorausgegangene Fachtage des AKF zu Schwangerschaft und Geburt, führt dieser Fachtag die Problemanalyse mit dem Fokus evidenzbasierte Schwangerenversorgung fort und plant erstmalig einen Fachtag zum Thema Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Schwangerschaft. Ziel ist es, politische und regulatorische Maßnahmen zu erarbeiten, die die Umsetzung einer frauzentrierten und evidenzbasierten Versorgung gemäß dem Nationalen Gesundheitsziel voranbringen können.
Die Tagung richtet sich an in der Versorgung Tätige, Forschende, Schwangere, Mütter und ihre Vertreter*innen, sowie Politiker*innen, Journalist*innen und alle Interessierten und mit dem Thema Befassten.
Abstracts und Videomitschnitte
Prof. Ingrid Mühlhauser- Transparenz und Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung am Beispiel der Schwangerschaft
Prof. Ingrid Mühlhauser ist habilitierte Ärztin für Innere Medizin, Fachärztin für Endokrinologie und Diabetologie. Seit 1996 ist sie Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg (seit 2019 i.R.). Von 2015 bis 2017 war sie Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Seit 2017 ist sie Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) e.V.
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Abstract: Transparenz und Qualitätssicherung in der ambulanten Versorgung am Beispiel der Schwangerschaft
In einem aktuellen Positionspapier fordert der Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) e.V. Transparenz und Evidenzbasierung in der ambulanten Versorgung von Schwangeren. Die Forderungen sind Ergebnis eines ersten AKF-Fachtags zum Thema „Was macht gute Schwangerenvorsorge aus?“. Deutschland hat eines der teuersten Gesundheitssysteme. Wenn es um die Ergebnisqualität geht, liegt Deutschland in internationalen Ländervergleichen aber oftmals nur im Mittelfeld. Es fehlt eine aussagekräftige Evaluation und Qualitätssicherung der ambulanten Versorgung. Erdrückend sind die Hinweise auf Überdiagnostik und Übertherapie. Hingegen wird das Recht der Frauen auf eine informierte Entscheidungsfindung missachtet. Ökonomische Fehlanreize und berufsständische Interessen dominieren auf Kosten einer evidenzbasierten Versorgung.
Prof. Rainhild Schäfers- Präventionsangebote in der Schwangerschaft – gestern und heute
Prof. Rainhild Schäfers ist Hebamme und Diplom-Pflegewirtin. Sie hat 21 Jahre in ihrem Beruf sowohl in der klinischen als auch in der außerklinischen Geburtshilfe gearbeitet. Nach einem vierjährigen Studium der Pflegewissenschaft war sie 6 Jahre im Verbund Hebammenforschung als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. 2011 wurde sie zum Thema ‚Subjektive Gesundheitseinschätzung gesunder Frauen nach der Geburt eines Kindes‘ promoviert und erhielt im Anschluss einen Ruf an die Hochschule für Gesundheit, Bochum, wo sie bis Dezember 2022 als Professorin für Hebammenwissenschaft tätig war. Zum 01. Januar 2023 wurde Frau Schäfers als Professorin für Hebammenwissenschaft an die Universität Münster berufen und leitet dort seitdem auch das gleichnamige Institut. Abstract: Präventionsangebote in der Schwangerschaft – gestern und heute Die Studie „Präventionsangebote in der Schwangerschaft – gestern und heute“ knüpft an die im Jahr 2015 im Rahmen des Gesundheitsmonitors der Bertelsmann Stiftung veröffentlichte Studie „Zusatz-Angebote in der Schwangerschaft: Geschäft mit der Unsicherheit oder sichere Rundum-Versorgung?“ an. Ergebnis der damaligen Studie mit 1.253 BARMER Versicherten war neben anderen eine routinemäßig stattfindende Überversorgung im Bereich der Ultraschalluntersuchungen und Herzton-Wehenschreiber Anwendungen (Cardiotokographie =CTG) im Rahmen der Schwangerenvorsorge. Die Studie wurde nun – acht Jahre später – erneut aufgelegt und mit Fragen zur Aufklärung über die angebotenen Maßnahmen ergänzt. Unter anderem soll überprüft werden, inwiefern die öffentliche Diskussion um eine evidenzbasierte wie auch richtlinien- und gesetzeskonforme Anwendung von Ultraschalluntersuchungen und CTG -Kontrollen während der Schwangerschaft möglicherweise zu einer veränderten Inanspruchnahme geführt hat. Im Vortrag werden erste Ergebnisse der Befragung von ca. 1600 BARMER-versicherten Müttern dargestellt.
Dr. Katharina Hartmann- Frauen* in der Schwangerenversorgung – Vom Objekt zum Subjekt
Dr. Katharina Hartmann unterstützt seit 2008 Projekte zur Verbesserung der Geburtshilfe. 2013 hat sie die Roses Revolution, den Tag der Aktion gegen Gewalt in der Geburtshilfe, in Deutschland initiiert und bis 2018 moderiert. Sie ist Gründungsmitglied und ehemalige Vorständin der Bundeselterninitiative Mother Hood e.V.. Sie pflegt für Mother Hood das Wissenschaftsressort und die internationalen Kontakte. In diesem Rahmen vertrat sie Mother Hood u.a. in der Redaktion der S3 Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin“, in nationalen und internationalen Forschungsvorhaben und der Deutschen CEDAW Allianz.
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Abstract: Frauen* in der Schwangerenversorgung – Vom Objekt zum Subjekt Der Vortrag widmet sich der Nutzer*innenperspektive: Von Schwangeren wird in Deutschland erwartet, dass sie zur Vorsorge gehen. Die allermeisten Frauen tun dies auch – viele sehr gerne: Die regelmäßigen Termine bedienen ein weitverbreitetes Sicherheits- und Informationsbedürfnis der Familien: “Da wird mir dann gesagt, ob auch alles in Ordnung ist und was ich machen muss”. Aktuell haben Frauen, schwangere Personen und Familien wenig Mitsprache bei den Inhalten ihrer Schwangerenbegleitung. Sie sind eher Objekte, statt Subjekte mit Handlungs- und Entscheidungskompetenzen. Geltende Ansprüche können in der Praxis nicht wahrgenommen werden, weil Informationen nicht fließen oder stark von berufspolitischen Interessen beeinflusst sind. Gesetze, bspw. BGB §630e Aufklärungs-pflichten, werden nicht eingehalten. Auch in Deutschland berichten Menschen davon, Versorgungsangebote nicht wahrzunehmen: Sie fürchten, dort rassistische, klassistische oder anderweitig diskriminierende Erfahrungen zu machen. Solange hier keine Daten erhoben werden, wird dieser Missstand bleiben. Die Expertise der Betroffenen muss die Versorgung proaktiv mitgestalten, sie brauchen individuelle und ihre Ressourcen stärkende Begleitung, so wie es auch das Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ fordert. Diskriminierung im Gesundheitswesen muss systematisch erfasst und ihr muss begegnet werden, damit das volle Gesundheitspotential ausgeschöpft wird und Schwangere vom Objekt zum Subjekt werden.
Dr. Dagmar Hertle- Hebammenversorgung in Deutschland: Anspruch, Versorgungslücken und kein Plan
Dr. Dagmar Hertle ist Internistin mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie und ärztliches Qualitätsmanagement. Nach klinischer und niedergelassener Tätigkeit Wechsel in die Qualitätssicherung und das Versicherungswesen (BQS-Institut, Barmenia, IQTIG). Seit 2019 beim BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung. Von Anbeginn engagiert im Arbeitskreis Frauengesundheit e.V., von 2014-2017 als Vorsitzende. Sie vertritt den AKF in der CEDAW-Allianz Deutschland und ist dort Sprecherin der AG Gesundheit.
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Abstract: Hebammenversorgung in Deutschland: Anspruch, Versorgungslücken und kein Plan Der Zugang zur Hebamme ist für viele Frauen trotz gesetzlichem Anspruch (§24d, SGB V) schwierig. Eine flächendeckende Versorgung durch Hebammen wird vom Gesundheitssystem nicht systematisch organisiert. Informationslücken bestehen zur Anzahl der Hebammen, zum Umfang ihres Leistungsangebots und zu regionalen und sozioökonomisch bedingten Unterschieden in der Versorgung. Unter Einbezug verschiedener Datenquellen lässt sich die Hebammenversorgung regional, bevölkerungsdichtebezogen und deprivationsbezogen darstellen. Dabei zeigt sich, dass in sozialen Brennpunkten in großen Städten mehr als doppelt so viele Geburten auf eine Hebamme kommen, als andernorts. Dies korrespondiert mit Analyseergebnissen zu den freiberuflich erbrachten Hebammenleistungen: Sowohl in der Schwangerschaft als auch im Wochenbett haben etwa 30 Prozent der sozioökonomisch benachteiligten Frauen keine abgerechnete Hebammenleistung. Es reicht nicht aus, die Versorgung rund um die Geburt nur über Vorgaben für Ärzte (ärztliche Mutterschafts-RL) zu regeln. Eine gemäß dem Nationalen Gesundheitsziel von der Frau aus gedachte, evidenzbasierte Versorgungsrichtlinie, die alle beteiligten Berufsgruppen einbezieht, muss gesetzlich initiiert und vom G-BA umgesetzt werden. Es braucht eine Versorgungsplanung, um Versorgungslücken zu schließen.
Dr. phil. Silke Schwarz- Häusliche Gewalt und Schwangerschaft
Dr. phil. Silke Schwarz ist psychologische Psychotherapeutin, aktuell in Weiterbildung für Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie, langjährige Tätigkeit in einem Berliner Frauenhaus, aktuell Referentin in der Fachstelle Traumanetz Berlin, S.I.G.N.A.L. e.V., ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreis Frauengesundheit und langjährige Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Psychische Gesundheit gewaltbetroffener Frauen des AKF.
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Abstract: Häusliche Gewalt und Schwangerschaft In Deutschland erlebt jede dritte Frau ab dem 16. Lebensjahr körperliche Gewalt, fast jede siebte Frau sexualisierte Gewalt unter Anwendung von Zwang und Drohungen. In einer bundesweiten Repräsentativstudie gaben 10 % der gewaltbetroffenen Frauen eine Schwangerschaft und 20 % die Geburt des Kindes als lebenszeitliches Ereignis an, bei dem ihr Partner zum ersten Mal gewalttätig wurde. In dem Beitrag werden die gesundheitlichen Auswirkungen von Gewalt beleuchtet, insbesondere auf die psychische Gesundheit und es wird die Rolle von Gesundheitsfachkräften diskutiert.
Politisches Podium- Wie sieht eine evidenzbasierte, frauengerechte Schwangerenversorgung aus?
Moderation: Beate Hoffmann Journalistin Teilnehmende: Dr. med. Kappert-Gonther Bundestagsabgeordnete, Stellv. Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2002 Mitglied Bündnis 90/Die Grünen, zwischenzeitlich. stellvertretende Fraktionsvositzende als Mitglied der Bremischen Bürgerschaft Katharina Desery Geschäftsführender Vorstand Mother Hood e.V., Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Pressesprecherin sowie
Gründungsmitglied von Mother Hood e.V.
angefragt SPD Vertretung Ulrike Hauffe Diplompsychologin, 1994-2017 Landesbeauftragte für Frauen des Landes Bremen, bis September 2023 2. Vorsitzende des Verwaltungsrates der BARMER, Mitglied im Plenum des G-BA für den GKV-Spitzenverband, und in der Expertinnengruppe des Nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt“. Dr. Dagmar Hertle ist Internistin mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie und ärztliches Qualitätsmanagement
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