Expertinnenstandard “Förderung der physiologischen Geburt”: Stellungnahme des AKF

Expertinnenstandard “Förderung der physiologischen Geburt”: Stellungnahme des AKF

Der AKF begrüßt das Engagement des Deutschen Netzwerkes für Qualitätsentwicklung in der Pflege und des Verbundes Hebammenforschung auf dem Gebiet der Förderung der physiologischen Geburt und gratuliert den beiden Arbeitsgruppen zur vorläufigen Fertigstellung des Expertinnenstandards zum Thema!

Diese Stellungnahme wird abgegeben auf dem Hintergrund der Kaiserschnitt-Kampagne des AKF zur Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland, flechtet aber auch Anregungen ein, die aus den persönlichen Erfahrungen der Verfasserin als niedergelassene Frauenärztin abgeleitet sind. Seit seiner Gründung im Jahre 1993 engagiert sich der AKF auf dem Gebiet der Frauengesundheit. Der AKF ist ein Verein, dessen Lebendigkeit auf seiner
berufsübergreifenden Orientierung beruht. Hebammenwesen, Gynäkologie und Geburtshilfe, Gesundheits- und Sozialwissenschaften und viele andere Berufsfelder sind durch zahlreiche Mitgliedsfrauen bei uns repräsentiert. Das Thema Schwangerschaft und Geburt ist eines der zentralen Themen unserer Vereinsarbeit.

Als Reaktion auf die zunehmende Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt gründete sich im Jahre 2006 innerhalb des AKF der „Runde Tisch Eltern werden“. Von dieser Arbeitgruppe wurde angesichts der steigenden Kaiserschnittraten in Deutschland der Aufruf zur Kampagne des AKF zur Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland entwickelt und im vergangenen Jahr veröffentlicht (Kaiserschnitt-Kampagne).

Die Senkung der Kaiserschnittrate ist eine politische Forderung, – Förderung der physiologischen Geburt ist das, worum wir uns bemühen müssen, um uns diesem Ziel zu nähern. Die Bennennung Ihres Ansatzes: Förderung der natürlichen Geburt macht klar, dass es nicht um starre Quoten geht, die zu erreichen sind. Es geht darum, die Frauen in ihrem Vertrauen in ihre Gebärfähigkeit zu stützen, aber letztlich ihre Entscheidung zu ihrem persönlichen Geburtsmodus zu respektieren. Dieses ist der Ansatz, den auch der AKF unbedingt unterstützt. Das vorliegende Papier macht, unterteilt in 5 Prozesse, zahlreiche wunderbare und gut begründete Vorschläge von der Geburtsplanung bis zur abschließenden Dokumentation.

Die Einrichtung einer geburtsvorbereitenden Hebammensprechstunde in der Klinik (Prozess 1) ist sicherlich sehr sinnvoll. Die beste Vorbesprechung der Geburt in der Betreuung durch die freiberufliche Hebamme, die FrauenärztIn oder im Geburtsvorbereitungskurs ist nicht ausreichend, wenn letztendlich in der Klinik ganz anders beraten, entschieden und gehandelt wird. Was an diesem Punkt noch mehr Gewicht bekommen könnte, ist der
Informationsaustausch zwischen Klinik und ambulantem Bereich. Die Hebamme, die Frauenärztin, die die Schwangere im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge betreut, kennt diese oft schon über Jahre und über mehrere Schwangerschaften hinweg. Sie kennt die Lebensumstände, evtl. auch die häusliche Situation, weiß von Gewalterfahrung oder Partnerschaftskonflikten. Informationsaustausch sollte nicht zufällig und abhängig von persönlichen Sympathien oder persönlichem Engagement sein. Es könnten einfache Wege zur Kontaktaufnahme überlegt und bekannt gemacht werden, z.B. eine Telefonsprechstunde zur Anmeldung und gegenseitigen Information über die Schwangere. So kann verhindert werden, dass widersprüchliche Empfehlungen gegeben werden, die die Frau verunsichern. Auch wenn ein Expertinnenstandard definitionsgemäß monoprofessionell angelegt sein soll, könnten doch die Schnittstellen benannt und „gängig“ gemacht werden, damit das Konzept in der
Praxis auch funktioniert.

So könnte ebenfalss die Absprache zwischen Hebammen- und Ärzteteam der Geburtsklinik institutionalisiert sein, zum Beispiel Fallkonferenzen zur Vor- und Nachbesprechung vorgesehen werden. Die in Prozess 1 beschriebene Dokumentation des Hebammengespräches und die in Prozess 5 beschriebenen Dokumentationen zur Evaluation der individuellen Geburt und die Befragung der Wöchnerin zur Zufriedenheit mit dem Ablauf der Geburt wären dabei hilfreich. Ein Arbeitstreffen von Hebammen und ÄrztInnen aus Klinik und ambulantem Bereich – beispielsweise 1 – 2x jährlich – zum Thema „Förderung der physiologischen Geburt“ könnte eingerichtet werden, damit Akteur/innen innerhalb und außerhalb der Klinik
ins Gespräch und in den fachlichen Austausch treten können. Dieses kann das gegenseitige Kennenlernen und die gegenseitige Wertschätzung fördern und Vertrauen aufbauen.

Vertrauen und Informationsaustausch zwischen ambulanten und klinischen VersorgerInnen ist auch das Stichwort, wenn es um die Furcht vor juristischen Auseinandersetzungen geht. Diese hängt als Damoklesschwert über der Tätigkeit von Hebammen und ÄrztInnen in der Geburtshilfe. Sie gestattet den GeburtshelferInnen häufig nicht „nach medizinisch-fachlichen Kriterien zu entscheiden, sondern nötigt sie, eine Defensivmedizin zu betreiben, in der sie mit dem Kaiserschnitt nach bisheriger Rechtsprechung „immer auf der sicheren Seite“ sind.“ So beschreibt es der Kaiserschnittaufruf des AKF. Wenn alle Beteiligten mit einer Stimme sprechen gibt das nicht nur der Schwangeren und Gebärenden, sondern auch den Hebammen und ÄrztInnen mehr Sicherheit.

Im Expertinnenstandard wird mehrfach Bezug auf die Migrantinnen unter den Schwangeren genommen. Ihr Anteil wird auf 16% Frauen mit nicht deutscher Nationalität beziffert, bezieht man Migrantinnen mit deutschem Pass mit ein, so sind es in NRW etwa 23%. Diese große Patientinnengruppe nimmt aber, wie es noch kürzlich Professor Theda Borde in Berlin aus den jüngsten Forschungen ihrer Arbeitsgruppe berichtet hat hat, in unterdurchschnittlichem Maße die Betreuung durch Hebammen in Anspruch. (Erste Ergebnisse des DFG-Projekts: „Der Einfluss von Migrations- und Akkulturationsprozessen auf Schwangerschaft und Geburt: Perinataldaten von Migrantinnen und deutschen Frauen im Vergleich“. Vortrag am 20.2.13. in der Charité, Berlin) Das mag daran liegen, dass diese Frauen vielfach aus Ländern stammen, in dem die Erfahrung mit mangelnder ärztlicher Versorgung noch sehr gegenwärtig und die Erwartung an medizinisch-technische Leistungen sehr hoch ist. Die Möglichkeiten den Kontakt zu dieser Patientinnengruppe zu sichern, könnten noch intensiver in den Blick genommen werden. Dies ist insbesondere wichtig, da in
den Herkunftsländern, z.B. der Türkei, die Kaiserschnittrate rapide ansteigt und damit der Kaiserschnitt für die Migrantinnen mehr und mehr eine gewisse Normalität und nicht die Ausnahme darstellt (s. https://www.deutsch-tuerkischenachrichten.de/2012/07/456222/tuerkei-kaiserschnitt-nur-noch-mit-medizinischerindikation/ Abruf 07.10.2012).

Bei der Ausgestaltung der Hebammenräume (das ist ein Hinweis, den ich einer erfahrenen Hebamme verdanke) wäre in Hinblick auf die Migrantinnen zu prüfen, ob die wohnliche Atmosphäre das ist, was der Migrantin Vertauen einflößt? Ihr Wohnzimmer sieht möglicherweise ganz anders aus und für sie würde vielleicht eher eine medizinisch-sachliche Atmosphäre Sicherheit und Kompetenz ausstrahlen. Es geht im Umgang mit den Migrantinnen nicht nur um die Abklärung der sprachlichen Kompetenzen der Schwangeren, es ist auch Kulturkompetenz der Hebamme gefragt. Wie wäre es mit einer Migrantinnenquote für das Hebammenteam? Eine Hebamme mit Migrationshintergrund könnte vertrauensbildend für die Schwangere wirken und im Team neue und andere Sichtweisen zutage fördern.

Mehrfach wird im Text erwähnt , dass der Schwangeren vermittelt werden soll, dass abwartendes Verhalten und Entschleunigung ein Ausdruck von profesionellem Handeln ist. Dieser Punkt ist äußerst wichtig. Er muss sicherlich nicht nur der Schwangeren sondern auch den Gremien, die über die Honorierung einer physiologischen Geburt zu entscheiden haben, vermittelt werden. Je mehr die Ökonomisierung im Gesundheitswesen Einzug hält, desto mehr sollen Prozesse vereinheitlicht, vereinfacht und beschleunigt und damit auch preiswerter werden. Diese angestrebte Beschleunigung steht dem Bestreben nach einem individuellen Geburtstempo der einzelnen Frau diametral entgegen. Eine physiologische Geburt kostet daher mehr, als es der derzeitigen Honorierung entspricht.
Deshalb fordert der AKF eine bessere Bezahlung der vaginalen Geburt, auch um etwaige ökonomische Fehlanzeige zugunsten des Kaiserschnitts abzustellen. Die Honorierung der physiologischen Geburt muss so bemessen sein, dass eine 1:1-Betreuung unter der Geburt gewährleistet werden kann. So werden partnerschaftliche Entscheidungsprozesse während des Geburtsverlaufes, die gemeinsam von Frau und Hebamme gestaltet werden, möglich (Prozess 3). Auch diese strukturelle Vorgabe des Expertinnenstandards wird vom AKF gefordert. „Frauen verdienen in der einzigartigen Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett Wertschätzung, Zuwendung, Ruhe, Unterstützung und Schutz“ (aus
dem Kaiserschnittaufruf des AKF).

Auf dem Weg, dieses Ziel zu erreichen, ist der vorliegende Expertinnenstandard eine wichtige Orientierung. Der AKF wünscht den Akteurinnen viel Erfolg bei der Implementierung!

Download

AKF-Stellungnahme: Expertinnenstandard “Förderung der physiologischen Geburt” (pdf)

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